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Geschichte
WOLFGANG GÖRLICH / DIRK S. LENNARTZ
Das Amtsgericht Heilbronn
WÜRTTEMBERGS JÜNGSTES PRÄSIDIALGERICHT
I. Entstehung und Entwicklung
Das Amtsgericht Heilbronn ist das jüngste eigenständige Präsidentengericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart. Ihm steht derzeit Präsident des Amtsgerichts Reiner Hettinger vor.
Hervorgegangen ist das Amtsgericht im Jahre 1879 aus dem vormaligen Oberamtsgericht Heilbronn. Durch die Schließung des Amtsgerichts Weinsberg im Jahre 1926 und die Stillegung des Amtsgerichts Neckarsulm im Jahre 1943 sowie die Auflösung des Amtsgerichts Eppingen im Jahre 1974 wurde der Gerichtsbezirk stetig erweitert.
Wie andere Gerichte war auch das Amtsgericht Heilbronn im Laufe der Jahre Veränderungen unterworfen. Als im Jahre 1927 das Gewerbe- und Kaufmannsgericht in Heilbronn in ein Arbeitsgericht umgewandelt wurde, wurde es dem Amtsgericht Heilbronn angeschlossen, später jedoch wieder ausgegliedert. 1934 wurde eine unentgeltliche Rechtsberatungsstelle für „unbemittelte Volksgenossen“ und ein Erbgesundheitsgericht beim Amtsgericht Heilbronn eingerichtet.
Anfang des Jahres 2004 hat das Amtsgericht eine Zivilabteilung mit 15 Richterreferaten, eine Strafabteilung mit 17 Richterreferaten, davon 2 Schöffengerichte, 4 Jugendschöffengerichte und 4 Jugendgerichte, eine Familienabteilung mit 9 Richterreferaten, eine Abteilung für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit 4 Richterreferaten, eine Zwangsvollstreckungsabteilung, eine Insolvenzabteilung mit 2 Richterreferaten, eine Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsabteilung und eine Handelsregisterabteilung. 19 Gerichtsvollzieher sind mit der Mobiliar-Zwangsvollstreckung beschäftigt.
Insgesamt sind derzeit 34 Richter/innen beim Amtsgericht tätig. Im gehobenen Justizdienst arbeiten 33 Rechtspfleger/innen. In den Serviceeinheiten sind 46 Beamte/innen und 40 Justizangestellte tätig. 7 Wachtmeister sorgen für den reibungslosen äußeren Geschäftsablauf.
Dem Amtsgericht obliegt auch die Dienstaufsicht über die 16 Notariate im Amtsgerichtsbezirk. In den Notariaten arbeiten derzeit 60 Notare/Notarvertreter und 100 Justizangestellte.
In starkem Maße ist das Amtsgericht auch im Ausbildungsbereich für den Nachwuchs engagiert. Zwei Ausbildungsleiterinnen betreuen im Ausbildungszentrum insgesamt 25 Auszubildende für den Beruf der/des Justizangestellten. 7 Rechtsreferendare, 7 Rechtspflegeranwärter/-anwärterinnen und 13 Anwärter/innen für den mittleren Dienst sind derzeit dem Amtsgericht zur Ausbildung zugewiesen.
Das Amtsgericht Heilbronn ist mit einer Reihe von Zuständigkeiten betraut, die über seinen Gerichtsbezirk hinausreichen. So sind die Heilbronner Jugendschöffengerichte bis auf den Bezirk des Amtsgerichts Schwäbisch Hall für den gesamten Landgerichtsbezirk zuständig. Gleiches gilt für Haftsachen gegen Jugendliche und Heranwachsende. In Insolvenzverfahren, in Wirtschaftsstrafsachen und Personenstandssachen besteht eine Zuständigkeit für den gesamten Landgerichtsbezirk. In Haftsachen gegen Erwachsene ist das Amtsgericht auch für die Amtsgerichtsbezirke Besigheim, Brackenheim, Marbach und Vaihingen/Enz zuständig. Gleiches gilt auch für die Wahrnehmung des Bereitschaftsdienstes und in Abschiebungshaftsachen.
Bei dieser Aufgabenfülle überrascht es nicht, dass der Stammsitz in der Wilhelmstr. 2-6 zur Unterbringung aller Abteilungen nicht mehr ausreicht. Einige Abteilungen mussten in andere Gebäude ausgelagert werden. Das Familiengericht befindet sich schon seit über 20 Jahren in der Rollwagstr. 10; das Insolvenzgericht ist seit Mai 2003 in der Rollwagstr. 10 A untergebracht.
II. EIN KURZER STREIFZUG DURCH DIE GESCHICHTE DES AMTSGERICHTES HEILBRONN
Das Amtsgericht Heilbronn befindet sich heute an einer Stelle, an der bereits der 1860 erstellte Vorgängerbau des Oberamtsgerichtes stand und in dem man bis zur Zerstörung desselben durch die Bomberangriffe im Jahr 1944 geblieben war.
Nachdem bis in die 1920er Jahre hinein der Bau unverändert geblieben war, begann eine – auch heute vielen bekannte – Diskussion um die Unzulänglichkeit der Räumlichkeiten. Hierzu merkte die Lokalpresse anschaulich und eindringlich im Jahr 1928 an:
„Wer heute die Räume des Amtsgerichts betritt, der kann hier genau so, ja noch in verstärktem Maße die Bilder sehen, wie sie jüngst in den Klagen über das Oberamtsgebäude geschildert worden sind. Auch hier fehlt es überall an den entsprechenden Wartezimmern für das geladene oder Auskunft suchende Publikum und wer es einmal selbst erlebt hat, der weiß, was für ein Vergnügen es ist, im Winter unter Umständen Stunden lang in den kalten und zugigen Gängen des Amtsgerichts herumzustehen oder zu sitzen. Und was spielt sich sonst noch alles in diesen offenen Gängen ab! Da stehen Verhaftete, für die ein besonderer Verwahrraum fehlt. Dort warten vor den Sitzungssälen in den Pausen zwischen Verhandlungen notgedrungen die Rechtsanwälte und Staatsanwälte, die vergebens nach eigenen Aufenthaltsräumen rufen. … Von den vielen kleinen und übermäßig belegten Zimmern, von den mangelhaft allzu beschränkten Abortverhältnissen, dem Mangel an Wasserspülung in einem so stark besuchten Gebäude und dergleichen gar nicht zu reden.“
Im September 1930 konnte, nachdem 1923 und 1925 schon ein Anbau und eine Aufstockung des Hauptgebäudes erfolgt waren, ein um- und ausgebautes Amtsgerichtsgebäude der Öffentlichkeit vorgestellt werden – mit hellen und modernen, aber einfachen Räumen, wie das Neckar-Echo anlässlich der Feierlichkeiten feststellte.
In diesem Jahr war auch die erste Richterin in Heilbronn tätig. Es muss zur damaligen Zeit schon etwas Sensationelles in der männlich dominierten Justiz gewesen sein, dass eine junge Richterin einer Verhandlung vorsaß. Ein Teilnehmer einer der ersten Sitzungen veröffentlichte seine ersten Eindrücke sehr anschaulich und bildhaft in der Neckar-Zeitung vom 1. März 1930:
„Auf dem Richterstuhl sitzt ein junges energisches Mädchen. Vor dem Richterstuhl drängen sich die Männer, Parteien und Anwälte und suchen bei ihr Recht. Sie ist objektiv und fachlich. Es nützt nichts, wenn die Männer ihre Eheringe in die Westentasche tun oder ihre Krawatten fester binden. Es nützt nichts, wenn einzelne Männer freundlich lächelnd zu Prozesszwecken um ihre Gunst buhlen. Sie ist nur ein Organ der Rechtspflege. Ihr ist gleichgültig, ob der Kläger ein eleganter Gent ist und der Beklagte ohne Kragen vor ihr steht. Sie spricht nur Recht. Rasch wird ein Fall nach dem anderen behandelt. Der männliche Protokollführer hat Mühe mitzukommen. Die Verhandlungsleitung hat sie stets in ihren kleinen Händen. Wenn die vielen Männer sich in dem kleinen Raum zu laut unterhalten, ruft sie mit heller Stimme dazwischen: ‚Darf ich die Herren um etwas mehr Ruhe bitten!’ Und es schweigen die erschrockenen Männer.“
Auch während der Jahre vor 1933 mit ihrer politisch aufgeheizten Stimmung und in der NS-Zeit blieben dem Amtsgericht Verfahren mit sog. politischem Hintergrund nicht erspart. Gleichzeitig ließen sich Amtsrichter auch dazu hinreißen, ihre Urteile im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung zu fällen. In diesem Zusammenhang sei ein Verfahren vor dem Schöffengericht aus dem Jahr 1935 erwähnt. Es ging um eine tätliche Auseinandersetzung zwischen zwei Mitgliedern der DJK und einem Mitglied des NS-Jungvolks. Die Täter gaben an, dass sie durch die abfällige Bemerkung des Jungvolkmitglieds, dass sie „DJKler“ und „Landesverräter“ seien, zur Tat gereizt worden seien. Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch den Oberstaatsanwalt persönlich, meinte im Gerichtsverfahren zunächst allgemein daran erinnern zu müssen, dass nach den Grundsätzen der deutschen Rechtsauffassung nur Recht nach nationalsozialistischem Grundsatz und Anschauung gesprochen werden dürfe, um dann festzustellen, dass die HJ die Jugend des neuen Deutschlands sei und, wer sie angreife, Partei und Staat angreife. Dem schloss sich letztlich – unter dem Beifall der örtlichen, der NSDAP nahe stehenden Presse – das Gericht an: Es sei eine politische Tat gewesen, da die Angeklagten gewusst hätten, dass es sich um einen Angehörigen des Jungvolks gehandelt habe. Es ständen Mitglieder der DJK gegen das Jungvolk. Die HJ müsse aber mit allen Mitteln gegen derartige Überfälle geschützt werden, da auf ihr der neue Staat aufgebaut werde.
Im Jahre 1938 wurde der damalige Direktor des Amtsgerichts Dr. Hans Pfleiderer vorzeitig in Ruhestand versetzt, weil er mit einer konvertierten Jüdin verheiratet war. Nachdem Dr. Pfleiderer im Januar 1944 verstorben war, sollte im Februar 1945 seine Witwe - mit dem letzten Transport, der Heilbronn verließ - deportiert werden. Sie wurde jedoch von Dr. Karl Feyerabend, einem angesehenen Heilbronner Arzt und Sohn eines Richters am Landgericht, bis Kriegsende versteckt.
Infolge der Bomberangriffe des 04. Dezembers 1944, bei denen weite Teile Heilbronns zerstört wurden, brannte das Hauptgebäude und der Mittelbau des früheren Amtsgerichts komplett aus, der Anbau wurde schwer beschädigt. Daraufhin wurde das Gericht zunächst nach Öhringen evakuiert, um schon kurz nach Kriegsende wieder nach Heilbronn in ehemalige Privathäuser in der Bismarckstraße zurückzukehren.
Nachdem weitere Schäden durch diverse Kampfhandlungen hinzugekommen waren, wurde das Hauptgebäude abgerissen. 1949/50 begann man mit dem Wiederaufbau des Mittelbaus und des neueren Anbaus, in den man zu Beginn des Jahres 1951 einzog. Hierdurch konnte die Raumsituation für die weiteren Justizbehörden – Landgericht und Staatsanwaltschaft – etwas entspannt werden, hatten diese doch nun die Möglichkeit, die vormals vom Amtsgericht in der Bismarckstraße 63 und 67 genutzten Räume zu belegen.
Zum Abschluss dieses kurzen Beitrags seien noch einige Verfahren erwähnt, die in der 1980er und 1990er Jahren für Aufsehen sorgten, die sog. Waldheide-Prozesse: Am 11.01.1985 war ein Motor einer Pershing-II-Rakete auf der Waldheide, einem US-Stützpunkt am Stadtrand von Heilbronn, bei einer Übung in Brand geraten: Drei US-Soldaten starben, 16 GIs wurden verletzt. Seitens der US-Streitkräfte wurde zwar versichert, die Rakete sei zu diesem Zeitpunkt mit keinem atomaren Sprengkopf bestückt gewesen, eine Gefahr für die Bevölkerung habe nicht bestanden. In der Folgezeit kam es jedoch – wie andernorts auch – zu Demonstrationen, bei denen sich einige vor dem Tor zum Waldheidestützpunkt niederließen und sich widerstandslos von Polizisten wegtragen ließen.
Nachdem einige Verfahren gegen die Blockierer schon eingestellt waren, kam es insbesondere ab 1990 zu ersten Anklageerhebungen und Gerichtsverfahren. Die Heilbronner Amtsrichter beendeten die Verfahren weitgehend mit Freisprüchen; nur in einem Fall, in dem gleichzeitig ein Privatfahrzeug einer Amerikanerin, die ihren Ehemann auf der Basis besucht hatte, behindert worden war, kam es zu einer Verurteilung wegen Nötigung, da es etwas anderes sei, ein Zivilfahrzeug aktiv zu behindern als ein Militärfahrzeug.
Die Richter hatten vorwiegend eine Verwerflichkeit der Handlungen verneint, indem sie in die Abwägung auch die Fernziele der Demonstranten eingestellt hatten oder auf die geringe Zeitdauer der Blockaden abgestellt hatten. Auch nachdem die freisprechenden Urteile auf die Revision der Staatsanwaltschaft durch das Oberlandesgericht aufgehoben worden waren, blieben die Heilbronner Amtsrichter bei ihrer Linie und fanden sich schließlich – im Ergebnis – durch die Sitzblockaden-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt.